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#Buchtipp: NÄHE – WIE WIR LIEBEN UND BEGEHREN

Auch wenn der Valentinstag gerade vorbei ist, das Buch „Nähe“ von Giovanni Frazzetto liefert in acht Kurzgeschichten mit Fakten ein Kaleidoskop unterschiedlicher Bindungen. Die Stories sind verknüpft mit den neuesten Erkenntnissen aus den Neurowissenschaften und der Psychologie. Schon der Klappentext macht neugierig auf das  Zusammenspiel zwischen Körper (Hirn, Hormone, Molekühle) und  Geist (Gefühle, Gedanken) Liebe und Nähe ergeben.

Zwischen Herz und Hirn – Die Neurobiologie der Liebe

Warum ziehen sich Gegensätze an?  Warum stoßen sie sich dann ab? Und warum will der Geliebte eigentlich plötzlich Freiraum? – Frazzettos acht Geschichten erzählen unter anderem von solchen Fragen. Das Büchlein bietet ein kleines Kaleidoskop unterschiedlichster Bindungen. Die Geschichten drehen sich um Einsamkeit, um den Schlüssel zur dauerhaften Partnerschaft, bedingungsloses Einlassen, oder auch (Überraschung!) das Gefühl von Nähe und Verbundenheit im familiären Kontext. In jeder Geschichte verweisen kleine Fußnoten auf das Glossar. Einige Erkenntnisse aus den Wissenschaften bindet der Autor direkt in seine Erzählung ein. Weiterführende Quellen oder Erläuterungen verlagert er ins Glossar. So kann jede LeserIn selbst entscheiden, ob es sich anbietet, direkt tiefer in die präsentierten Fakten einzusteigen. Besonders fleißige und wissbegierige Leser können Frazzetto als Einstieg in die jeweiligen Kurzgeschichten-Oberthemen nehmen. Im Glossar findet sich auch eine ganze Reihe von Leseempfehlungen weiterer Bücher. Diesen Umweg habe ich nicht gemacht.

Ein Blick in das Fußnotenverzeichnis aus dem Buch von Frazetto.

Kuriose Einblicke in das Bedürfnis nach Nähe

Das Buch hat mich auf Zugfahrten begleitet und ich habe jede Geschichte für sich als Anstoß zum Nachdenken über die Sätze und präsentierten Fakten genommen. Dabei habe ich zum Beispiel in der Geschichte von Liam und Scott im Kapitel „Spilt or Steal“ gelernt, wie fundamental unterschiedlich das individuelle Bedürfnis von Menschen nach Nähe sein kann. Neu für mich und spannend an Frazettos Erklärung für persönliche Bindungsstile waren mir Hinweise auf unsere DNA. Laut Frazzetto und der neusten Forschung passt sich unsere DNA teils an unsere Erfahrungen an. Zumindest bei Mäusen ist ein solches „Umschreiben“ von Gensequezen bekannt. Noch verrückter wird es, wenn unsere individuelle Neigung zu Affären auch genetisch unterschiedlich verteilt ist. Dopamin-Rezeptoren stehen in Verdacht ein Grund für untreues Verhalten zu sein. Der Hirn-Rezeptortyp bestimmt unsere Fähigkeit zu Monogamie mit, oder erhöht eben die Wahrscheinlichkeit für Fremdgehen.

Das Buch zu lesen lohnt sich aus meiner Sicht. Manche der Geschichten wechseln gelegentlich etwas holzschnittartig zwischen Szene und Fakten. Aber alleine für ein paar wunderschöne Sätze lohnt es sich.

„Stellen Sie sich Intimität als große Villa vor, mit einer riesigen Anzahl von Räumen, großen und kleinen, dunklen und hellen, sichtbaren und versteckten,“

schreibt Frazzetto zum Beispiel, wenn er versucht die menschliche Fähigkeit zur Trennung von Sex und Liebe zu beschreiben. Die Analogie zum Wintergarten vergesse ich nicht mehr.

P.S.: Das Cover wurde vom kongenialen Paul Thurlby illustriert.

Giovanni Frazzetto: NÄHE – WIE WIR LIEBEN UND BEGEHREN erschienen im Carl Hanser Verlag, 2018, Hardcoverpreis: 20 Euro

Text: Janina Weinhold