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Oh YEAH! Popmusik in Deutschland. Eine Ausstellung

Für die Popmusik in Deutschland spielten Radio Bremen und sein Beat-Club eine wichtige Rolle. Nur logisch, dass im Bremer Focke-Museum eine Ausstellung zur Geschichte der deutschen Popmusik gezeigt wird – mit vielen Hörproben und Exponaten bis zurück in die 1920er. Wer dort beginnen und Oh yeah!  chronologisch erleben will, sollte hinten, am dem Eingang entfernt liegenden Teil der Ausstellung starten.

Kern der Ausstellungen sind die jeweiligen Hörstationen über die 90 typisch deutsche Songbeispiele präsentiert werden. Neben den Textinformationen werden auf 450 Quadratmetern 200 Kostüme, technisches Equipment und andere Erinnerungsobjekte ausgestellt. Den Anfang bilden die wilden Jahre im Berlin der 1920er und die so genannten  „wilden Cliquen“ der oppositionellen Jugendkulturen der Swing-Jugend und der Edelweißpiraten während des Nationalsozialismus. In der Zeit vor 1968 ist dann eher noch die heile Welt der Nachkriegszeit zu bestaunen: Freddy Quinn, Heintje (!), Caterina Valente und Peter Alexander werden hier unter Popmusik verhandelt, was im ersten Moment aus heutiger Sicht etwas komisch wirkt, aber wohl auch wahre Anteile hat.

Gothic, New Wave, NDW und Beat Club

Die mit reichlich Hörbeispielen und Filmschnipseln versehenen Stationen der jüngeren Vergangenheit behandeln unter anderem Gothic, New Wave und Neue Deutsche Welle, Punk und Rap im Westen und in der DDR, Open-Airs und Festivals oder Techno. So sind Rammstein, die Avantgardegruppe Einstürzende Neubauten und Text und Filmschnipsel aus 1970 der linksradikalen Polit-Rocker „Ton Steine Scherben“ in einem Kasten zusammengefasst. Seichteres wird ebenfalls präsentiert, etwa Nena oder Markus („Ich geb Gas, ich will Spaß“). Eine Vertiefung informiert über den Beat-Club von Radio Bremen, der von 1965 bis 1972 gesendet wurde und erstmals (!) englische KünstlerInnen im Fernsehen vorstellte.

Die Ausstellung beruht auf einem Konzept des Berner Museum für Kommunikation und wurde von einem Bremer Team erstellt. Sie kann (unbeabsichtigt) jüngeren BesucherInnen vermitteln, wie spießig weite Teile der kulturellen Öffentlichkeit selbst Ende der 1960er Jahre noch waren. Erstaunlich auch, wie in Ost und West entschärfte und durchkommerzialisierte Formen auf den Markt kamen, wenn ein musikalischer Trend nicht mehr aufzuhalten war.

Peter Kraus in der BRD, Lipsi in der DDR

Machte Peter Kraus im Westen einen auf Rock ‘n-Roll und Halbstarker, versuchte die DDR zeitgleich den dort erfundenen Lipsi als systemkonformen modernen Tanz gegen den Rock ‘n-Roll zu etablieren. Oh Yeah! zeigt weiter anschaulich, dass ab den beginnenden 1960ern verschiedene Musikkulturen nebeneinander existierten – heute dürften es dutzende sein. Am auffälligsten ist aber, dass Pop hier anscheinend nichts mit Drogen oder Sexualität zu tun hat. Drogen werden nur für das wilde Berlin der Weimarer Zeit erwähnt. Dass Pop immer auch ein Projekt im Zuge sexueller Befreiung war, bleibt unerwähnt. Eine Befreiung, die freilich im Rahmen des Konsumkapitalismus stattfand und erst einmal den Männern zugutekam, in deren Windschatten aber auch Frauen neue Freiräume erstreiten konnten.

Pop hat neben der technischen Entwicklung (Fernsehen, Radio, Kassette, CD, Walkman) viel mit der Biographie des Betrachters zu tun, und so ist die Ausstellung an einem Sonntagnachmittag gut besucht. Das Altersspektrum reicht von sieben bis 77 und einige ältere Semester wippen an den Hörstationen verträumt mit den Füßen. Mir ging neben den unvergesslichen „Scherben“ ein Mitschnitt aus dem DDR-Fernsehen am besten rein, den ich vorher gar nicht kannte: Hier performt die Electric Beat Crew, die bekannteste HipHop-Band in der DDR, ihr Lied „go go“ (hier auf soundcloud).

Geschichte im Rückwärtsgang

In Bremen ist die Ausstellung so aufgebaut, dass die BesucherIn direkt am Eingang in der Gegenwart beginnen muss und sich dann in die Vergangenheit vor- bzw. zurückarbeitet. Das ist gewöhnungsbedürftig. Ein Thema wie Popmusik in einer Museumsausstellung einzufangen, ist sicher eine Herausforderung. Hier ist es nur halb gelungen, insgesamt wirkt die Präsentation des Themas leicht steril, eher wie ein Gemeinschaftskundebuch mit Hörbeispielen, trotz des teilweisen wilden Inhalts. Neue Besucherschichten anzusprechen, die vielleicht sonst nicht in ein Museum gehen, dürfte dem Focke-Museum mit diesem Projekt aber gelungen sein. Glückwunsch!

Oh yeah! Popmusik in Deutschland, noch bis 16. Juli 2017; Focke-Museum, Schwachhauser Heerstraße 240, 28213 Bremen. Geöffnet Di 10 bis 21 Uhr, Mi bis So 10-17 Uhr.

Text: Bernd Hüttner