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#Comics: Meister des Bleistifts

Am Schreibtisch im Original: So arbeitet Mawil in seinem Berliner Atelier. Annica Müllenberg

Am Schreibtisch im Original: So arbeitet Mawil in seinem Berliner Atelier. Foto: Annica Müllenberg

Vor noch wenigen Jahren beäugten Eltern die Comicliebe ihrer Sprösslinge kritisch. Auch Lehrer bemühten sich etwas zu sehr darum, Schülern die Bildgeschichten auszureden, empfahlen stattdessen solide Bücher. Vom Schmuddelimage emanzipierten sich die Comics, wohl auch, weil die längeren Geschichten heute schick als Graphic Novels bezeichnet werden. Ob Biografien, Reisebericht oder Weltpolitik – es ist nahezu alles in Strips erhältlich. Nun wird sogar aus den Werken gelesen.

Mawil am Schreibtisch als Zeichnung: Credit: Mawil

So sieht es aus, wenn Mawil eine Zeichnung von seinem Schreibtisch anfertigt. Credit: Mawil

Zum Gratis-Comic-Tag am Samstag, 14. Mai, beweist der Zeichner Markus Witzel alias Mawil eindrucksvoll, dass eine Lesung auch mit Bildgeschichten funktioniert. Ab 12 Uhr liest er aus seinem preisgekrönten Werk „Kinderland“, für das er 2014 den begehrten Max- und Moritz-Preis einheimste – der Oscar unter den Comicpreisen. Hauptperson im knapp 300 Seiten starken Werk ist der Siebtklässler Mirco. Während um ihn herum die Erwachsenen verrückt spielen und die Berliner Mauer bröckelt, ist für ihn nur wichtig, dass er ein Tischtennisturnier auf die Beine stellen und sich in diesem möglichst als Held der Kelle beweisen kann. Es sind die letzten Tage der DDR, die Mawil in Zeichnungen und Blasen konserviert. Die Weltpolitik spielt die zweite Geige, Mirco hat schließlich eigenen Probleme: Die FDJler nerven und ein bisschen mehr Schneid bei den Mädels könnte auch nicht schaden…

Das Cover von "Kinderland" verrät, es gab nicht nur angepasste Pioniere in der DDR. Credit: Mawil

Das Cover von „Kinderland“ verrät, es gab nicht nur angepasste Pioniere in der DDR. Credit: Mawil

Ob Mirco zum Tischtennisheld aufsteigt, erfahren Neugierige am 14. Mai vom Zeichner selbst. Mawil liest vor. Eine Comic-Lesung? „Ja, das geht. Ich projiziere die Bilder an die Wand und das Publikum konzentriert sich nur auf die Zeichnungen. Die Blasen werden von mir gelesen. Es wirkt wie ein langsamer Trickfilm. Auf diese Weise kommt das Filmhafte des Comics gut rüber“, erklärt Mawil auf Nachfrage. Gemeinsam mit anderen Zeichnern verleiht er dem Vorlesen Showqualitäten.

Mawil zieht das Selbstporträt dem Foto vor. Seiner Meinung nach interessieren sich die Leser für die Figuren, nicht aber den Typen mit Brille, der sie zeichnet. Credit: Mawil

Mawil zieht das Selbstporträt dem Foto vor. Seiner Meinung nach interessieren sich die Leser für die Figuren, nicht aber den Typen mit Brille, der sie zeichnet. Credit: Mawil

„Ich bin oft mit der Gruppe Reading Panels unterwegs, das sind mehrere Comiczeichner, die in verteilten Rollen ein Werk lesen, dazu gibt es Soundeffekte. So haben wir „Kinderland“ einmal in eineinhalb Stunden fast komplett quasi inszeniert. Es gab einen Sampler, auf dem der Originalsound der DDR-Fahrzeuge und andere nerdige Geräusche waren, das war beeindruckend“, erinnert sich der kreative Berliner. Mawil gehört zu den Stars der Szene. Übrigens nicht nur der deutschen. Seine Diplomarbeit „Wir können ja Freunde bleiben“ – ein zeitloses Dokument über vier Liebesgeschichten ohne Happyend – bringt Menschen in Brasilien, Spanien, Großbritannien, Polen, Frankreich und Russland zum Schmunzeln und Seufzen. Mawils Werkzeug: Der Bleistift, Härtegrad 2B. Für seine Storys kramt er oft in der eigenen Kindheit. Wie schnell er Figuren aufs Papier bringt, zeigt der Zeichner mit den Wuschelhaaren und der Brille bei der anschließenden Signierstunde, bei der jeder einen Blick über seine Schulter riskieren darf.

Disco in den 80er Jahren in Ost-Berlin: Depeche-Mode-Songs hatten den Sprung über die Mauer geschafft – die Texte im korrekten Englisch allerdings noch nicht. Credit: Mawil

Disco in den 80er Jahren in Ost-Berlin: Depeche-Mode-Songs hatten den Sprung über die Mauer geschafft – die Texte im korrekten Englisch allerdings noch nicht. Credit: Mawil

Der Gratis-Comic-Tag, der in allen deutschsprachigen Ländern stattfindet, ist eine gute Gelegenheit für Fans, Stars der Szene live beim Zeichnen zu erleben und neue Geschichten kostenlos zu beziehen. Die großen Verlage geben 36 Hefte aus,erhältlich sind diese in den lokalen Comicshops. Wie jedes Jahr werden Kinder und Erwachsene gleichermaßen fündig: Das Repertoire reicht ganz klassisch von Donald Duck über Frankenstein und Sherlock Holmes bis hin zu „Love Addict“. In der Story des israelischen Zeichners Koren Shadmi gerät der Held tief in den Dschungel einer Datingplattform und merkt, dass Liebe eigentlich etwas anderes ist.

Zeichenproben für Kinderland: Sieben Jahre saß Mawil an dem 300 Seiten starken Band. Für die Ideen hat er fast genauso viele Bleistifte verraspelt wie für die Reinzeichnung. Credit: Annica Müllenberg

Zeichenproben für „Kinderland“: Sieben Jahre saß Mawil an dem 300 Seiten starken Band. Für die Ideen hat er fast genauso viele Bleistifte verraspelt wie für die Reinzeichnung. Credit: Annica Müllenberg

Der Gratis-Comic-Tag 2016 findet am Samstag, 14. Mai, in Bremen statt. Ab 10 Uhr können Fans in den Shops Comic Cafe Bremen (Langemarckstraße 73-75), Bremer Comic Mafia (Friedrich-Ebert-Straße 18), Logbuch KG (Konsul-Smidt-Straße 8q), Thalia Bremen  (Obernstrasse 44-54) und der Zentralbibliothek Bremen (Am Wall 201) kostenlos Hefte bekommen. Die Lesung mit Mawil startet ab 12 Uhr. Weitere Infos zu beteiligten Händlern und zum Event unter www.gratiscomictag.de

und

www.mawil.net

Text: Annica Müllenberg