Aktuell, Allgemein, Best of, Bremen, Grün, grüneWelt, Leben, lebensWelt, Nachhaltigkeit, Welten

#Wolfalarm: Nachgefragt beim Wolfexperten

Ein Wolfspaar in freier Wildbahn

Wolf_610-wikipedia_cc_by_gunnar_ries-800x600

Im vergangenen Jahr habe ich Wölfe im Wolfscenter Dörverden besucht. Seit Anfang März, streunt ein wildlebender Wolf durch Norddeutschland und das Bremer Umland. Dieser Wolf ist alles andere als scheu und spaziert auch tagsüber durch Wohngebiete. Was ihn dazu treibt und ob wir Angst haben müssen, hat Janina Weinhold mit dem Experten Frank Faß vom Wolfcenter Dörverden geklärt.

In Norddeutschland und im Bremer Umland geht der Wolf um

Im Wolfscenter Dörverden leben die Wölfe in Rudeln und sind gut in sicherem Abstand hinter Zäunen zusehen. Es sind schöne Tiere. Zu meiner Überraschung sind Wölfe nur minimal größer als ein deutscher Schäferhund. Die Wölfe im Gehege haben die Hunde der Besucher kaum überragt. Im Vergleich zu Hunden ist der Wolf am ehesten noch an seiner Schwanzhaltung zu erkennen. Wölfe tragen ihren Schwanz waagerecht oder senkrecht. Bei Hunden neigt er sich meist nach oben oder kringelt sich.

Wölfe leben in Rudeln oder als Paar. Nur halbwüchsige Wölfe gehen auf Wanderschaft, um ein eigenes Revier zu finden. Sie sind hochintelligent, schnell lernfähig und nicht ganz ungefährlich für ungeschützte Schafherden. Im Normalfall meiden Wölfe Menschen. Aktuell ist in unseren Breitengraden aber der Wolf los. Und er ist alles andere als schüchtern. Grund genug beim Wolfsexperten Frank Faß nachzuhaken!
Herr Faß, gefühlt taucht ein streunender Wolf gerade überall auf!
Frank Faß:Vermutlich sind es ein bis zwei Jungtiere. Mehr nicht. Aber Wölfe legen extreme Strecken zurück. Ein Wolf kann in einer Nacht mühelos zwischen 70 und 100 Kilometern zurück legen. Deshalb wird er an einem Tag im Landkreis Emsland, am nächsten im Landkreis Verden und zwei Tage später in den Niederlanden gesichtet.
Was für Gründe kann es haben, wenn uns ein Wolf auf den Pelz rückt und durch Wohngebiete streift?
 Der genaue Grund steht bei dem betreffenden Wolf noch nicht fest. Das niedersächsische Umweltministerium will den streunenden Wolf betäuben und einfangen. Dann kann das Tier auf mögliche Krankheiten und seine DNA untersucht werden. Später soll der Wolf mit Peilsender wieder frei gelassen werden. Ein Spezialist wird ihm dann eine unangenehme Erfahrung mit Menschen verpassen, so dass er sich in Zukunft vermutlich fernhalten wird.
Aber was wären mögliche Gründe?
Darüber gibt es aktuell besonders bei Facebook schon wilde Spekulationen. Von Anfütterung ist die Rede. Es ist so: Vor zehn Jahren kamen zum ersten Mal wieder Wölfe in Deutschland zur Welt und die ganze Zeit über gab es keine Zwischenfälle. Natürlich stellt sich dann jetzt die Frage, woher dieser Wolf kommt und warum er keine Scheu vor Menschen zeigt. Möglicherweise handelt es sich um einen oder zwei Jungwölfe, die bei einem Rudel bei Münster in Niedersachsen  zur Welt gekommen sind. Nehmen wir mal an, der Querulant kommt aus Münster. Dann müssen wir der Frage nachgehen: Woher haben die jungen Wölfe gelernt: „Die Nähe zum Menschen suchen ist eine gute Idee?“ Sprich: Was könnte unwissentlich oder wissentlich in der Region passiert sein? Dennoch müssen wir noch abwarten – der Genbeweis zählt.

Weil Wölfe schnell lernen, können sie „vergrämt“ werden. Vergrämen bedeutet ihnen Distanz zum Menschen beibringen. Wie muss ich mir das vorstellen?
Bei einem Wolf der Menschen zu nahe kommt, geht ein Fachmann mit einem mit Gummigeschossen ausgestatteten Gewehr los und verpasst dem Wolf eine wirklich unangenehme Erfahrung mit Menschen. So ein Gummigeschoss verpasst aufs Hinterteil verpasst auch einem Wolf einen fiesen blauen Fleck und das Tier lernt dann „Oha! Die Nähe des Menschen ist nicht gut für mich“. Solche Vergrämungs-Versuche können aber durchaus mehrfach nötig sein. Wölfe stehen unter striktem Naturschutz. Aber wenn alle Abschreckungsversuche bei dem Tier nicht fruchten, erlaubt das Gesetz auch den Abschuss. Aber nur dann! Das ist alles andere als wünschenswert, muss als allerletzte Option aber diskutiert werden dürfen. Insofern würde ich die Entscheidung des Umweltministeriums mittragen.
Es ist zwar verdammt unwahrscheinlich beim nächsten Waldspaziergang ein Wolfsrudel zu treffen, aber falls da wirklich ein Wolf vor mir stünde: Wie verhalte ich mich richtig?
Zuerst können Sie sich die Frage stellen: Hat der Wolf mich bemerkt? – Und das ist sehr wahrscheinlich, weil Wölfe extrem gut riechen, hören und sehen können. In diesem Fall bleiben Sie am besten stehen und versuchen einen Fotobeweis zu kriegen. Selbst wenn Wölfe auf 10 Meter herankommen und herüber starren, sind sie nur neugierig und werden dann ihres Weges ziehen. Den Fotobeweis können Sie am besten an den zuständigen Wolfsberater schicken. Nur wenn das Tier Schaum vor dem Mund hat, rufen Sie sofort die Polizei! Dann hat das Tier Tollwut und muss getötet werden. Die Wahrscheinlichkeit ist aber sehr gering.
Was wenn ich es mit der Angst zu tun bekomme?
Total verständlich – vor allem wenn Sie zu den Menschen zählen, die auch Angst vor Hunden haben. In diesem Fall ziehen Sie sich am besten ruhig zurück und wählen einen anderen Weg. Übrigens: Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob der Wolf sie bemerkt hat, machen Sie sich bemerkbar. Da hilft Klatschen oder ein Stöckchen in seine Richtung werfen.
Klingt einfach. Aber auf Frazer Island in Australien habe ich eine Konfrontation mit wilden Dingos erlebt. Diese Wildhunde leben wie Wölfe im Rudel und sind eigentlich ungefährlich; aber Touristen füttern sie verbotenerweise an. Nachts auf einem Zeltplatz auf dem Weg zum Waschhaus umringten mich plötzlich fünf Dingos und es extrem schwer nicht schreiend wegzulaufen...
Kann ich mir vorstellen. Hektische Bewegungen oder gar Wegrennen sollte man vermeiden. Genau wie bei Haushunden auch, besteht statistisch die geringe Gefahr, dass dann ein Bewegungsreiz beim Wolf oder Dingo ausgelöst wird. Der Bewegungsreiz würde wiederum den Jagdinstinkt wecken. Ich habe auch meiner kleinen Tochter schon immer eingeschärft: „Laufe nicht vor großen Hunden weg!“. Gleiches gilt für andere Raubtiere wie auch Braunbären.
In der letzten Zeit haben Wölfe auch Schafe gerissen. Deshalb fordern Landwirte den Wolf zur Jagd freizugeben. Sie sagen: Er passt nicht in unsere dicht besiedelte Landschaft und nicht alle Herden lassen sich schützen.
Damit haben sie teilweise recht. Nicht in allen Landkreisen in Niedersachsen lassen sich individuelle Schutzmaßnahmen für zum Beispiel Schafherden installieren. In Deichschutzzonen und Moorgebieten können Bauern zum Beispiel keine Schutzzäune errichten. Das würde ja auch den Tourismus stören. Hier kann das Land über Maßnahmen für Wolf-freie Zonen nachdenken. Ansonsten ist diese Sorge übertrieben und wir müssen lernen mit dem Wolf zu leben. Langfristig kann über eine Jagdquote nachgedacht werden, wenn der Wolfsbestand sich erholt hat und er nicht mehr unter Naturschutz steht.

Dankeschön, Herr Faß!


 

Das Wolfcenter Dörverden will einen Blog über Wölfe einrichten. Hier gibt es dann demnächst viel Stoff für Neugierige nachzulesen.

Mehr Infos zum Wolf und wie Naturschützer die Wiederbesiedlung seines ursprünglichen Lebensraums begrüßen und unterstützen findet ihr auf auf wwf.de/woelfe

Text und Fotos in der Galerie: Janina Weinhold. Titelbild: Wikipedia_cc_by_Gunnar_Ries