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reiseZeit: Kopf unter Wasser in Down-under

Kopf unter Wasser – Schnorcheln am Great Barrier Reef
Kopf unter Wasser – Schnorcheln am Great Barrier Reef

Kopf unter Wasser – Schnorcheln am Great Barrier Reef

Dass es bisweilen einiger Anstrengung bedarf, um die Naturwunder Australiens aus nächster Nähe zu sehen, weiß ich nach dem Besuch im Outback. Auch die Unterwasserwelt des Great Barrier Reefs lässt sich nicht mit ein paar Schritten ins Wasser und dem nach unten gerichteten Blick erkunden. Ich muss mich erneut auf die Launen des Wetters einlassen, denen sich die Australier mit stoischer Gelassenheit beugen. Erst vor zwei Wochen ist ein Zyklon über die Küstenregion bei Airlie Beach gefegt. Das Küstenstädtchen liegt 1400 Kilometer nördlich von Brisbane. Diese gar nicht mal seltenen Wirbelstürme sind eine der wenigen Anlässe, weswegen Tauchgänge ausfallen. Strömender Regen und Wind sind dagegen keine Hindernisse. Der Blick auf sich im Wind biegende Palmen und Hügel verhüllende graue Wolkenmassen lässt mich etwas besorgt im Hafenbüro nachfragen. „Keine Sorge, die Tour findet sicherlich statt. Es gab gerade erst einen Zyklon, ich glaube nicht, dass morgen ein weiterer folgt“, antwortet mir die junge Angestellte freudestrahlend.

74 Inseln, eins mit Herz

Und tatsächlich besteige ich am folgenden Tag das Schnellboot bei peitschendem Wind und besorgniserregendem Seegang. Die Crew steht Spalier und lächelt die Sorgen der wenigen Besucher weg. Noch werden die Reisetabletten an Bord nicht gratis verteilt, so schlimm kann es nicht werden, beruhige ich mich und schaue mir das für 300 Personen ausgestattete Schiff genauer an. Es sieht groß genug aus, um die Wellen zumindest ein wenig abzufedern. Ich entscheide mich trotzdem für eine Reisetablette aus meiner Rucksackapotheke – sie soll die Aufregung dämpfen – und schaue der Insellandschaft entgegen, auf der es sich die Wolkenmassen gemütlich gemacht haben. Genau 74 Inseln sind es. Die größte heißt Whitesunday Island und lockt auf Postkarten mit weißen Sandbänken, deren Ausläufer weit ins Meer hinaus reichen. Die Struktur der Riffe ist sogar vom Weltraum aus sichtbar. Das Heart Reef hat die Form eines Herzens. An einen herzlichen Empfang ist allerdings nicht zu denken: Die Whitsunday Island könnte gut umgetauft werden in Greyrainyday.

Heart Reef aus der Luft

Das Heart Reef aus der Luft. Es erinnert an ein Herz.

 Bedrohtes Paradies

Drei Stunden dauert die Fahrt bis zum 170 Kilometer entfernt gelegenen Korallenriff – Meeresforscher sagen, es ist das größte Lebewesen der Welt. Das Great Barrier Reef punktet noch mit anderen beeindruckenden Daten: seit 1981 trägt es den Titel „Unesco Weltnaturerbe“. Zurecht, denn das Biotop erstreckt sich über 348.000 Quadratkilometer und ist das Zuhause von 2.500 Tieren. Dem amtierenden australischen Premierminister, Tony Abbott, scheinen die Fakten weniger zu imponieren. Immer wieder hört man Bewohner der Crocodile-Dundee-Nation schimpfen, er würde der Wirtschaft näher als der Natur stehen. „Das Ozonloch hält er für eine Lüge und außerdem will Abbott eine Passage für Schiffe ins Riff schneiden“, erklärt mir eine Australierin. Anfang Februar überschlugen sich die Berichte über die Entscheidung des Klimawandelskeptikers: der Politiker erteilte Konzernen die Erlaubnis, Industrieschlamm in der bunten Märchenwelt zu entsorgen. Bevor dem Naturparadies also der Kollaps droht, möchte ich noch schnell einen Blick erhaschen – Wellen, Wind und Wasserspritzern zum Trotz.

 Stranden auf hoher See

Als das Schiff die geschützten Wasser der Inseln verlässt und auf offene See hinaus fährt, wird es zum Spielball der Wellen. Schäumend bäumen sich die Wogen auf und spucken Wasserspritzer an Deck. Ich versuche mich in den Innenraum zu retten. Einfach ist das nicht. Im Seemannsschritt schreite ich langsam voran. Drinnen schlittern die Tassen von einer Tischkante zur nächsten. „Wir fahren mit der Strömung, der Rückweg wird noch ein wenig holpriger“, versucht mich ein Crewmitglied ungefragt für den Moment aufzuheitern, während ich wie ein Äffchen an einem Haltegriff in alle Richtungen schwinge. Das Bordpersonal scheint die Achterbahnfahrt zu genießen – es wird gelächelt, geschwatzt und gespaßt. Plötzlich verstummen die Motoren. Das Schiff wird von den Wellen hin und her geworfen, bewegt sich aber nicht mehr vorwärts. „Motorschaden“. Ein Abschleppboot wird bestellt und soll uns zur nächsten Insel schleppen. Ich kann es kaum glauben, nun habe ich schon zwei Stunden auf stürmender See ausgeharrt und werde das Riff doch nicht sehen und stattdessen auf einer „Trauminsel“ stranden? Nach einer halben Stunde ist klar, der Seegang ist zu stark. Das gerufene Schiff kann nicht anlegen. Es dreht bei und fährt weiter. Warten, winken, warten, schwingen, warten, bangen. Noch einmal dreißig Minuten vergehen und plötzlich springt der Motor wieder an. Jubel bricht aus. „Liebe Passagiere, es geht weiter. Wir werden das Riff heute sehen. Unser wunderbarer Kapitän und die Mechaniker haben den Schaden beheben können. Sind sie nicht toll? Es wird ein ganz normaler Ausflug werden“, klingt es unter Klatschen und Freudentaumel aus den Lautsprechern. Ein ganz normaler Tag? Gut, dass ich keinen unnormalen auf dem „Traumschiff“ erleben muss.

Great Barrier Reef, Doktorfische

Die Doktorfische sind aus dem Film „Findet Nemo“ bekannt. Die vergessliche Dorie gehört zu dieser Gattung.

Ich finde Nemo

Für die nächste Stunde wird es noch einmal ruckelig, holperig und schaukelig, doch dann ist die installierte Plattform der Station zu sehen. Und plötzlich geht alles ganz schnell. Ehe ich mich versehe, muss ich Schnorchel, Taucherbrille, Flossen und Schwimmanzug aussuchen. Noch im Regen kämpfe ich mich in ungewohnter Maskerade zur Treppe, plumpse ins Wasser und dann bin ich buchstäblich down under. Durch die plötzliche Stille höre ich die Geräusche von Bord nur noch als dumpfes Klopfen. Auf diese geräuschlose Welt habe ich seit Stunden gewartet. Allein bin ich allerdings nicht. Ein paar Doktorfische schauen mich neugierig an. Man kennt sie aus dem Film „Findet Nemo“. Die vergessliche Dorie gehört dieser Spezies an, die durch ihre sichelförmige gelbe Schwanzflosse auffällt.

Das Wasser ist zwar durch die Witterung aufgewühlt, trotzdem ist das Riff gut zu sehen. Ein gewaltiges Gebilde, das moosartig, schwammig und mit fragilen Korallenästen bewachsen ist. In aller Ruhe winken mir die Arme von Seeanemonen zu. Die Blumentiere haben mal schlauchartige Nesseln, dann wieder dünne Tentakel. Muscheln, so groß wie eine Babywiege, mit türkisfarbenen vollen Lippen blubbern vor sich hin. Zwischen die verästelten Korallen huschen Fische in allen Größen und Farben. Ein Clownfisch kuschelt sich an den Anemonen entlang und aus einer Höhle starren mich zwei Augen an, deren Besitzer ich lieber nicht aus der Nähe sehen will. Ein Paddelzüge weiter umschwirrt mich ein Fischschwarm in zackig-schnellen Bewegungen.

Napoleon-Lippfisch, Great Barrier Reef

Der Napoleon-Lippfisch kann über zwei Meter groß werden.

Vorsichtig schwimme ich über die zarten Kreaturen, die mal gläsern und dann wieder wie ein weiches Mooskissen aussehen. Neben den Korallenbänken, die nur drei Meter unter der Wasseroberfläche liegen, geht es steil in die Tiefe. Ich schwebe wie ein Vogel in Zeitlupe über den Abgrund. In einiger Entfernung verharrt im tiefer werdenden Blau ein Riese. Etwas scheu nähere ich mich in einem weiten Bogen dem etwa zwei Meter langen und ziemlich unheimlich schauenden Fisch: Grimmiges Gesicht, aufgepumpte Lippen, winzige Augen. Bedächtig bahnt er sich seinen Weg durch die Weite des Ozeans. Wie ich später erfahre, handelt es sich um einen Napoleon-Lippfisch, der bis zu 2,30 Meter lang werden kann.

Ganz ohne nass zu werden kann man die Fische am Schaufenster der Station sehen.

Ganz ohne nass zu werden kann man die Fische am Schaufenster der Station sehen.

Durch die Unterwasser-Schaufenster der Station sehe ich ihn später noch einmal. Taucher schwimmen wie kleine Puppen um ihn herum. „Ein gesundes Riff ist tagsüber braun. Die verschiedenen Farben sind nur nachts im Scheinwerferlicht zu sehen“, erklärt ein Crew-Mitglied. Deshalb habe ich wohl auch keinen der farbenfrohen Seesterne gesehen. Die junge Frau weiß kennt spannende Lebensweisheiten der Riffbewohner: Bei den Seepferdchen kümmern sich beispielsweise die Männchen um den Nachwuchs. Plötzlich lugt eine Schildkröte seitlich ins Schaufenster. „Das ist Chucky, sie ist noch jung, ungefähr 20 Jahre alt“, die Expertin erkennt das 70 Zentimeter lange Tier schon. Sie wird noch über einen Meter größer wachsen. Drollig sieht es aus, wenn sie neugierig durch die Scheibe blinzelt und scheinbar mit einer Flosse winkt.

Für die Begegnung mit Doktor-, Clown- und Fuchsgesicht-Fischen hat sich die abenteuerliche Fahrt auf jeden Fall gelohnt. Der Unterwasserzoo entschädigt mit zarten Skulpturen und einer riesigen Farbpalette, die das Regengrau an Land vergessen lassen.

Text und Fotos: Annica Müllenberg

 

 

 

 

 

 

 

 

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